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Homeoffice: Mehr Eigenverantwortung und Vertrauen

Die Coronakrise hat in deutschen Firmen eine Entwicklung vorangetrieben, die man vorher nicht für möglich gehalten hätte – Prof. Dieter Frey zu den Chancen des Homeoffice (Cube Magazine, Ausgabe 04/20)

Die Coronakrise hat in deutschen Firmen eine Entwicklung in wenigen Wochen vorangetrieben, die man vorher nicht für möglich gehalten hätte. Während vor Pandemieausbruch nur für etwa zehn Prozent der Mitarbeiter die Möglichkeit eines Homeoffice bestand, lag die Nutzung in vielen Firmen währenddessen bei ca. 90 Prozent. Damit erreichte man den Standard amerikanischer Unternehmen wie Amazon, Google oder Facebook. Für die dortigen Führungskräfte ist der Arbeitsort, sei es der Balkon, die Küche, das Wohnzimmer oder im Café nebenan, irrelevant.

Die Unternehmensphilosophie besteht darin, dass der Arbeitsplatz jener sein sollte, wo man sich am produktivsten entfalten kann.

In Teilen verinnerlichten das bereits einige deutsche Unternehmen, aber noch viel zu wenige. Doch nun beschleunigte das Coronavirus dieses Denken. Ich gehe davon aus, dass auch in Zukunft im Durchschnitt 50 Prozent der Mitarbeiter ganz oder mehrere Tage in der Woche im Homeoffice arbeiten werden. Die Mitarbeiter sehen das sowohl positiv wie negativ. Dafür sprechen das Wegfallen des Anfahrtsweges und die Berücksichtigung des eigenen Biorhythmus. Denn jeder Mensch folgt seinen individuellen, tageszeitabhängigen Phasen für Konzentration und Produktivität. Zudem lässt sich Privates und Berufliches enger miteinander verbinden. Das macht Sinn, wenn etwa Kinder vorhanden sind, da hier eine bessere Chance für eine Familienvereinbarkeit besteht. Letzteres, also die Überlagerung von Privat- und Berufsleben, kann jedoch ebenso das Gegenteil bewirken, insbesondere in kleinen Wohnungen. Überdies haben die Mitarbeiter Sorge, nicht mehr gesehen zu werden und sich dadurch die Chance auf eine Karriere zu verbauen. Hinzu kommt die fehlende soziale Komponente. Mitunter leiden die Mitarbeiter regelrecht, weil es am täglichen Feedback der Kollegen mangelt.

Für manche Führungskräfte zeigt das Homeoffice einen weiteren negativen Aspekt auf: Kontrollverlust. Die Arbeitsproduktivität der Mitarbeiter lässt sich nur durch deren Anwesenheit im Unternehmen genauer überblicken. Im Homeoffice fehle es an adäquaten Überprüfungsmethoden. So glaubten sie es zumindest. Daraus entstand ein vermeintlicher Kontrollverlust, der natürlich unter heutigen Gesichtspunkten Unsinn ist. Von diesem unmündigen Denken halten die Mitarbeiter natürlich rein gar nichts und zweifeln damit zu Recht die Führungsqualität des Vorgesetzten an. Digitale Führung ist in vielen Bereichen anders als analoge Führung, weil es einer noch klareren Kommunikation bedarf hinsichtlich der Ziele, der Sinnvermittlung, der Kommunikation und dem Feedback. Bei einer mangelhaften digitalen Führungsarbeit gehen Dinge häufiger schief, als es unter analoger Führung der Fall wäre. Das fördert die Frustration bei allen Beteiligten.

Die wesentliche Erkenntnis sollte also sein, das Homeoffice als Chance zu begreifen. Die optimale Arbeitskultur entsteht dann, wenn das Anforderungsprofil für Führung, Mitarbeiter und damit die gesamte Unternehmenskultur neu adjustiert wird.

Schlussendlich besteht die Intention darin, die Notwendigkeit des Arbeitens vor Ort aufzuheben und den Fokus auf das Arbeitsergebnis im Homeoffice zu legen.

Es geht beim Homeoffice mehr denn je um Balance eines sogenannten impliziten oder auch psychologischen Vertrages. Dieser beleuchtet zum einen die Seite der Führungskraft, die unausgesprochene Erwartungen an den Mitarbeiter hegt, die Aufgaben professionell, schnellstmöglich und gewissenhaft zu bearbeiten. Gleichwohl darf der Mitarbeiter die (implizite) Erwartung haben, dass ihm vertraut wird. Kommt es zu einem unausgewogenen Verhältnis beider Seiten, führt das unweigerlich zu Problemen. Das impliziert gleichermaßen eine neue Ausformulierung für ein anderes Verständnis von Führung, das da lautet: Freiräume geben, Verantwortung übertragen, offene Feedbackkultur fördern. Im Gegenzug lautet die Aufgabe für die Mitarbeiter: Die Freiheit richtig anzunehmen, indem sie den Tag strukturieren, klare Routinen einbauen, mehr Eigenverantwortung übernehmen, Eigeninitiative ergreifen und nicht zuletzt der Führungskraft vertrauen.

Fazit: Das Homeoffice bietet eine Chance für eine neue Unternehmenskultur der Führung und Zusammenarbeit. Sie muss geprägt sein von Vertrauen, Loyalität, Freiheit und Verantwortung. Flankiert mit der angesprochenen neuen Unternehmenskultur, bietet das Homeoffice richtig dosiert eine Vielzahl von Potenzialen für Mitarbeiter, aber auch für Führungskräfte. Sie sind zwar unsichtbarer, dennoch unverzichtbar, weil sie durch die Art von Freiräumen und Vertrauen auch Potenziale des Mitarbeiters für selbstständiges Arbeiten entwickeln können.

    Drei Essentials, damit das Homeoffice optimal funktioniert

    1. Klarheit von Zielen, Aufgaben, Arbeitsschritten, Verantwortlichkeiten und Zeitrahmen
    2. Kommunikation durch regelmäßige Telefon- und Videokonferenzen zur Einordnung der individuellen Arbeit in die Arbeit des gesamten Teams
    3. Reflexionen für eine transparente Feedbackkultur, um sich auszutauschen, was gut oder eben weniger gut läuft und welche Verbesserungen nötig wären

    Prof. Dieter Frey

    • Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und Psychologe des Jahres 1998
    • Professor an der Universität Kiel, Gastprofessor an der Graduate Faculty der New School for Social Research in New York sowie Lehrstuhlinhaber für Sozialpsychologie an der LMU München
    • Zehn Jahre Leiter der Bayerischen EliteAkademie
    • Leiter des LMU-Centers for Leadership and People Management, eine Einrichtung der Exzellenzinitiative. Sie widmet sich der Dozentenausbildung in den Bereichen Führungs- und Lehrkompetenzen und aktuell in der Homeoffice-Betreuung. Zentrale Rolle seines Wirkens bildet die Beratung von Organisationen.